Sonntag, 28. Juni 2015

Mein Freund, der Baum (25)

Mein Freund, der Baum, wird 25! Aber wenn ihr jetzt denkt, ich hätte dafür ein besonders großes beeindruckendes Exemplar fotografiert oder aus meinem Baum-Archiv geholt, habt ihr euch diesmal geirrt...

"Jugendklub" - Jungbirken, Jungeichen, Jungeichen,Jungahron und ein Weißdorn an einer lichten Stelle im Kiefernwald.


Es dauert lange, bis kleine Bäume groß werden. Und die Gelegenheiten, dass sie das können, nehmen rasant ab. In Brandenburger Wäldern begegnen einem auch in Zeiten ökologischen Waldumbaus noch immer frisch aufgeforstete Kiefern-Reihen-Einheits-Forsten. Denn schnell muss es gehen, bis der Wald, der den Namen nicht verdient, Holz zum Schlagen hervorbringt. Aber Wald ist nicht schnell. Normalerweise gehört auch die Sterbe- und Totholzphase von Bäumen zum Kreislauf des Waldlebens dazu. Das "Totholzleben" ist so unglaublich artenreich, dass einem die Vorstellung dafür fehlt, so ungefähr wie bei der Anzahl der Sterne am Himmel geht es mir da. Und gar keine Vorstellung haben wir offenbar davon, was uns eines Tages fehlen wird, wenn wir uns weiter so totholzfeindlich durchs Leben holzen, sägen, schneiden, schreddern, fegen, putzen... Totholz ist Leben, wunderbar und faszinierend.



Beherzt die Chance ergriffen: Auf Totholz keimen heißt in Ruhe gelassen zu werden, wachsen können. (Holunder)


Im öffentlichen Grün werden Baumkeimlinge, wird überhaupt alles gnadenlos abgemäht, der Boden dabei so verdichtet, bis da eh nichts mehr keimt. Sich heimlich aus Unterholzresten ans Licht hinaufwagende Bäumchen werden mindestens alle paar Jahre ausgeholzt, damit es wieder schön ordentlich aussieht. Kein Denken an die Tiere, die hier Schutz und Nistplatz hätten, kein Denken daran, wie lange ein Baum zum Wachsen braucht. Der kleine Holunder am hiesigen Badestrand hatte nur eine Chance, weil es vor ein paar Jahren noch nicht üblich war, Baumstubben nach dem Fällen oder Fallen des Baums sofort zu roden und zu schreddern, wie es heute passiert. So konnte er auf dem sich zersetzenden "Totholz" des Birkenstubbens keimen und wachsen. Inzwischen blüht er schon und wird Frucht tragen. Ob er die eines Tages anstehende "Herrichtung" des Geländes zu einem ordentlichen und sauberen Badestrand überstehen wird? Es wird ja schon jetzt gemäht, geschnitten, gesägt, mehr als dem Gelände gut tut.



Kiefernwald, ausgedünnt lässt er viel Licht herein, Möglichkeiten zu keimen.
Robinien und Birken sind die schnellsten.


Hier um die Ecke ist ein kleines Stück Privatwald, in dem seit ein paar Jahren der Versuch gewagt wird, nicht durch Abholzen, sondern durch Auslichten des ehemaligen Kiefernwaldes Licht zu schaffen und den Wald zu verändern, in Richtung Vielfalt. Licht für Naturverjüngung (Selbstaussaat) des Kiefernbestandes, aber auch Licht für kleine Laubbäume. Die kommen da nämlich, langsam, aber bei Licht besehen inzwischen sicher. Neben den durch Selbstaussaat aufkommenden Robinien und Birken gibt es auch kleine Eichen, Linden, Buchen. Kleine, von großen noch keine Spur. Auch die Eigentümer haben die Kleinen nicht gesetzt. Mutterbäume weit und breit nicht zu sehen. Eichhörnchen und Eichelhäher hatten hier Wintervorräte angelegt und nicht aufgebraucht. Daher keimen immer wieder kleine Eichen und Buchen auch mitten im Kiefernwald. Wenn die Bedingungen passen, wachsen sie heran. Sie haben es schwer, denn allzugern frisst das in Brandenburgs Wäldern zahlreich vorhandene Rehwild die jungen Laubbaumtriebe ab. So sind die kleinen Bäumchen oft schon älter als es den Anschein hat und brauchen viele Jahre, bis sie - durch Licht und gute Wetterbedingungen gefördert - den nötigen Vorsprung schaffen, um Höhe zu gewinnen. Langsam eben. Ich habe einen neuen Spazierweg, in dieses kleine Wäldchen und bin gespannt, wie es sich weiter verändern wird. Ich werde die kleinen Bäumchen als Riesenbäume nicht mehr erleben, aber meine Enkel vielleicht. Und ich kann sie mir vorstellen, die Bäume als reife Bäume. Und allein schon darüber kann ich mich freuen. Unwichtig, dass ich sie nicht mehr als solche sehen werde.


Ich sehe sie vor mir, in 200 Jahren, eine urige mehrstämmige Linde, kraftvoll und charakterstark.

Eine kleine Gruppe schon mehrfach verbissener Eichen, die sich nicht unterkriegen lässt.
Rotbuche und zwei kleine Eichen.
Blutbuche, wer wird durch ihre roten Blätter eines Tages in den Sonnenhimmel schauen? Birken und Eiche


Zeit - das ist nicht Schnelligkeit und Eile und Zeit einsparen. Zeit - das ist auch Langsamkeit, Geduld, Warten. Das lassen wir
heutzutage zu gern außer Acht. Doch so ist es im Wald, in einem richtigen Wald. So ist es mit Bäumen, wenn wir sie denn wachsen lassen. Sie brauchen lange. Sie kommen von alleine nach, wenn wir sie lassen. Vielerorts werden sie aber nicht gelassen. Es muss sauber sein, ordentlich. Dieser Ordnungswahn hat mit den Kreisläufen der Natur nichts im geringsten zu tun, auch ganz und gar nicht mit Kultur, denn diese Art Ordnung zeigt nur unsere Kleingeistigkeit und unseren Egoismus, unsere Entfremdung von der Natur, unsere Beziehungslosigkeit. Eines Tages sind die jetzt schon großen Bäume alt, werden sterben, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen gefällt, geschreddert, kein Platz für Totholz. Dann werden die leeren Stellen auffallen in den Parks, auf den Dorfplätzen, an den Stränden. Warum dürften da nicht jetzt schon Bäume, ganz von allein, nachwachsen, so wie sie es früher immer schon taten. Deshalb stehen sie ja da, jetzt, noch. An unserem Strand. 

12tel Blick im Juni 2015, gedeckt-grau diesmal, mit Grüßen an Tabea


Auch die waren mal klein, Unterholz sozusagen unter solchen, die inzwischen der Erosion des Ufers zum Opfer gefallen sind. Aber hier wächst nichts Neues nach, nicht mehr, wie  früher, denn falls doch einmal: die Sägen der "zuständigen Ämter" sind schnell. Es soll sauber und ordentlich sein. Was weg ist, kann kein Baum werden, ein Kletterbaum, von dem aus man sich ins Wasser schwingen kann, schon gar nicht, was weg ist, kann keine Probleme machen, die es zwar nicht gibt, aber die ja kommen könnten, was weg ist, kann nicht stören, keinen Laubentsorgungsstress verursachen... Ach, ihr Lieben, pflanzt Bäume und lasst Bäume wachsen! Es dauert - nach menschlicher Zeitrechnung - sooooo lange, bis sie große Bäume sind. So lege ich euch heute, mit dem 25. Mein-Freund-der-Baum-Post mal die Kleinen ans Herz. In jedem dieser Kleinen steckt das Potenzial für einen großen Sauerstoff, Schatten und Wohlbefinden spendenden großen Baum.



Auch junge Kiefern werden vom Rehwild verbissen, nun könnte eine Bauernkiefer draus werden, mehrstämmig und knorrig. Auch diese urigen Gestalten und Zeugen historischer Waldnutzung sterben aus, werden gedankenlos gefällt, wo noch einer verloren steht in den Forsten, obwohl man aus diesen nicht norm- und möbelgerecht gewachsenen Bäumen nur Papier oder Streichhölzer aus ihnen machen kann...


Eine Buchempfehlung, sehr erhellend: Werner David, Lebensraum Totholz. Absolut spannend und mit Charme geschrieben, lesetauglich auch für Menschen gänzlich ohne Fachwissen. Werner David ist Biologe und hat einen Naturgarten mit vielen Wildbienen, nein, keinen großen Garten, nur einen Balkon. Naturgärtnern geht überall. Hier findet ihr seinen faszinierenden Blog Naturgartenfreude.   


Und hier finden sich hoffentlich wieder zahlreich eure Baumfreunde ein. Sobald auch in Brandenburg die Ferien anfangen, komme ich mit Muße bei euch schauen, ich weiß, auch aus dem Mai habe ich einige Bäume noch nicht besuchen können... Aber ich war arbeiten, und auch draußen, bei meinen kleinen Baumfreunden.


18 Kommentare:

  1. Liebe Ghislana...was für ein toller Post! Lieben Dank! Bei uns hat vor Jahren zumindest im Auwald ein Umdenken stattgefunden. Es wird nicht mehr "aufgeräumt"...es darf Totholz liegen bleiben. Ich werde davon berichten...Danke für die Inspiration! Dir einen schönen Sonntag! LG Lotta.

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    1. Ich habe mich sehr gern verlinkt, lieben Dank für die Anregung! Es folgt übrigens noch ein Post von mir...für dich und deine Aktion...über das Totholz im Auwald...du musst dich aber noch ein wenig gedulden...;-). LG Lotta.

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    2. Heute habe ich meinen Beitrag über das Totholz im Auwald verlinkt...ich hoffe, er gefällt...LG Lotta.

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  2. Liebe Ghislana,
    Du schreibst mir soooo aus dem Herzen!
    Herzlichen Dank dafür!
    Fühl' Dich umarmt von
    Jana

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  3. über bäume lese ich immer gerne und dein post erinnert an vieles - leben der baüme - ich gehe sehr gerne in wälder und besonders die sehr alte wo man die verschiedene stadium des baumlebens sieht - hier ist eine sehr schöner alter wald mit druide-steine in den bergen und finde die natürliche art wie die natur selber auskommt so gut. doch bin ich nicht dagegen wenn man ein feld kartoffel oder kohl oder sonstwas anbaut, damit auch in der suppe etwas essbares ist aber mehr respekt von den wunderbaren natur, wälder, planzen, tiere mit den verschiedene biotope dürfte jeder von kleinauf gelernt haben, damit mehr leute auch im leben anders mit ihr umgehen. und aus geldgründe und *so soll es sein* :( vergisst die menscheit komischer weise vieles ! in mein garten lasse ich eiche auch keimen hier und da die sind sie nach 10 jahre nicht grösser als 1 m, vor 35 jahre zwei andere die gewachsen sind weil ich eichel gesäht hatte... wie in der geschichte von Jean Giono l'homme qui plantait des arbres - er hatte diese büchlein geschrieben damit die menschen bäume pflanzen - ein animationsfilm wurde daraus gemacht der ein oscar 1987 bekam. danke auch für den buchvorschlag, werde versuchen ihn zu finden. und ich werde die *souche du bouleau* nicht wegmachen ;) und sehen was da keimen wird - es sind schon viele insekte die sich da verstecken ! liebe sonntagsgrüsse
    monique

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  4. Du Liebe, ein schöner, nachdenklich stimmender Post! Das trifft sich gut mit meinem heutigen Beitrag, in dem es darum geht, was mein Vater sich für Gedanken gemacht hat, um seinen Wald unter den Bedingungen der Erderwärmung zu erhalten. Und dabei hatte er immer die späteren Generationen im Auge, der alte Indianer....
    Besonders Liebe Grüße!
    Astrid

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  5. Das ist ein wunderschöner Beitrag, Ghislana! Ich liebe das Foto vom Holunder auf dem Baumstamm.

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  6. Danke, liebe Ghislana. Da kann man kaum noch etwas hinzufügen. Auch hier habe ich das Gefühl, dass die Verantwortlichen wüten, als gäbe es kein Morgen mehr.
    An prägnanten Stelle wird die Bürgerseele wach und wehrt sich (aktuell: Pappelallee in Konstanz/ Tägermoos), aber was sonst so in den Wäldern passiert, scheint niemand wahrzunehmen. (Wer geht schon in den Wald?)
    Liebe Grüße
    Andrea

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  7. Ein schöner und interessanter Beitrag . :)
    Liebe Grüsse Heike

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  8. Du hilfst mir immer wieder, vieles anders zu betrachten und wahrzunehmen. Die Ordnung des Lebens ist eben nicht ordentlich nach unseren stylishen Massstäben. Danke für diesen schönen Post! Heute trage ich auch mal einen Baumfreund her.
    Sei lieb gegrüßt von der Leine!
    Lisa

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  9. Schön zu sehen, wie sich der Wald "umbaut", wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt !
    Schöne neue Woche,
    Luis

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  10. Sehr schön, dass sich zu deinem Baumjubiläum ein ganzer Jugendclub eingefunden hat. Wachsen soll er. Beständig.
    Liebe Grüße
    Christiane

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  11. Danke! Dein Post ist wieder sehr informativ und spricht mir aus dem Herzen.
    Jedes Mal bin ich fasziniert, wenn aus Altem Neues hervorgeht.
    Das Buch "Lebensraum Totholz" ist bestimmt sehr interessant.
    LG lykka

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    1. Ach ja über die kleine Blutbuche, von alleine gewachsen und noch gelassen freue ich mich doll. Wunderschöne Bäume.

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  12. Da kann ich jedes Wort unterschreiben!

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  13. Ein wunderbarer Beitrag - danke!
    Birken werden hier im Harz als Forstunkraut bezeichnet ... und das Weghauen der alten Bäume erlebe ich hier in der Stadt fast täglich irgendwo.
    Aber ich habe auch schon oft gestaunt, wo die Baumsämlinge eigentlich herkommen, einige haben ja selbst Flügelchen, wie Linden und Ahörner und auch Eschen fliegen hier offenbar munter durch die Luft und siedeln sich im Garten an. Den einen Sämling lasse ich (wo bei ich gestehen musz, auch schon etliche ausgerodet zu haben denn der Garten ist zu winzig für einen ganzen Wald - ) und er darf wachsen.

    Die verbissenen Laubbäume sah ich früher häufig im Wald und ich habe sie immer als "Naturbonsai" bezeichnet... und irgendwann in den 80ern sah ich dann tiefe Gruben und hörte die Vermutung, Schalck-Golodkowski würde Bonsais zu Devisen machen. - Obs stimmt, weisz ich nicht. Aber sorgsam ausgegraben wurden sie jedenfalls.
    Eine schöne Zeit Dir und liebe Grüsze
    Mascha

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  14. danke, liebe ghislana, für diesen wunderbaren beitrag. ja, wenns nur ordentlich ist, dann ist das deutsche kleingärtnerherz zufrieden! und der wald ist fast überall nur noch profitobjekt. das sehe ich täglich im elm. anders im nationalpark harz, da gibt es so gute beispiele, wie sich wald wieder erholen darf, wenn gar nichts mehr gemacht wird. das hat mich bei einer wanderung kürzlich sehr beeindruckt.
    liebe grüße, mano

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  15. Wie wunderbar das geschrieben ist, die Besucherzahl sollte eigentlich explodieren bei dem Eintrag. Als meine Tochter noch klein war, hat ein Bekannter mich eingeladen in sein schönes Waldstück. Durch ein weiss angestrichenes Türchen führte er uns durch sein Reich. Der Waldboden wurde gewischt es lag kein Laub oder Ast am Boden, mit liefen die Tränen und ich musste gehen. Ich konnte ihm ja nicht sagen, ob er sein Hirn ausgeschaltet hat. Noch heute schaudert es mich wenn ich daran denke. Ich bin viel im Wald und freue mich, dass ein umdenken stattfindet.
    Übrigens dein 12tel Blick bewundere ich schon seit anfang Jahr, wundere mich immer was das ist was aussieht wie Visiere im Wasser?
    L G Pia

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Ich freue mich sehr über eure Gedanken.
Bitte aber keine anonymen Kommentare.